Ein Jahr ohne Auto – Experiment und Erfahrung

Als ich mich entschlossen hatte für ein Jahr nach Laos zu gehen, habe ich nicht nur meine Wohnung aufgegeben, sondern auch mein Auto, dass geleast war, zurückgegeben. In Laos reifte der Gedanke, wie wäre es denn in Deutschland mal für eine Zeit ohne Auto auszukommen?

In Laos war es leicht, diesen Gedanken zu fassen. Dort war das Auto noch wenigen reicheren Geschäftsleuten oder Ausländern vorbehalten. Wie man mir erzählte, waren Autos erst seit etwa dem Jahr 2000 im Privatbereich angekommen. Es gab Busse, groß und klein, Lkws, SUVs und noch ganz wenige Mittelklassewagen.  Auf dem Land eher gar keine und in der Stadt, wie Luang Prabang war der Autoverkehr noch überschaubar. Die meisten Menschen fuhren Mopeds, Roller oder Motorräder. In der Hauptstadt Ventiane war der Verkehr der Autos schon deutlich mehr und es gab sogar Ampeln, die den Verkehr regelten. Dort sah man, neben den japanischen und koreanischen Autos auch schon eher einmal das eine oder andere europäische, deutsche Autos wie Mercedes, BMW, Porsche und vereinzelt auch VW.

Hier ein kleiner „Ausflug“ zu Autoverkehr in Laos. Er stammt zwar von 2007, ist aber aus meiner Erfahrung auch noch auf das Jahr 2013/14 übertragbar „Wer einen westlichen geregelten Verkehr gewohnt ist, wird die laotische Fahrweise als chaotisch bezeichnen. Verkehrsschilder und Straßenmarkierungen werden nicht beachtet, und viele Laoten fahren so, wie es ihnen gerade passt. Wer als Ausländer an einem Verkehrsunfall beteiligt ist, wird in der Regel trotz Unschuld an eventuellen Kosten beteiligt oder sie sogar ganz übernehmen müssen. Viele in Laos wohnhafte Ausländer weigern sich, selber Auto zu fahren, und ziehen es vor, einen Laoten als Fahrer zu beschäftigen. Der Preis für 1 Liter Benzin beträgt etwa 10.000 Kip (1 $) (Stand: November 2007).

Allerdings sind außerhalb der Städte nur sehr wenig Fahrzeuge unterwegs. Wer sich an die gemütliche (und damit auch vorsichtige) laotische Fahrweise anpasst, sollte keine Probleme haben. Vor unübersichtlichen Kurven oder zum Überholen langsamerer Busse und LKWs in den Bergen wird einfach gehupt. Auch auf der Straße gilt wie überall in Laos: Lao PDR (=people don’t rush …).“ (wiki voage Laos).

In meiner Familie gab es ein Auto, sogar ein Coupée von Nissan. Dieses Auto hatte auch eine Geschichte, nämlich die Geschichte, dass eine Geschäftsfrau in Laos meint ein Auto haben zu müssen. Während der Mann, der ja bekanntlich Geschäftsmann in der Reisebranche war, zwar Autos, Kleinbusse, in der Firma hatte, mit denen Touren organisiert wurden, aber eher auf Auto verzichten konnte und mit Fahrrad und Moped unterwegs war. Nach Ventiane in die Hauptstadt reiste man mit dem Flieger, so dass das Auto nur in der Stadt und für die kleineren Ausflüge rund um die Stadt genutzt wurde.

Doch jetzt zurück zu mir und meinem Experiment ein Jahr in Deutschland ohne Auto. Wir schon erwähnt, der Entschluss in Laos gefasst, war zurück in Deutschland erst mal leicht umzusetzen, da ich ja nach meiner Rückkehr nach Wetzlar kein Auto hatte. Was ich hatte waren Freunde, die bereit waren ihr Auto mit mir zu teilen, bzw. es mir, wenn notwendig zu leihen.

Ich legte mir als erstes die BahnApp für mein Handy zu, damit ich immer und überall die Bahnfahrzeiten parat hatte. Ich wurde Mitglied bei Flinkster, dem Carsharing der Deutschen Bahn, mit  Station Bahnhof Gießen. In Wetzlar gab es leider keine Station.  Zu wenige Nutzer,  wie mir auf Anfrage mitgeteilt wurde.

Ich wurde  Nutzerin des ÖPNV, der Busse,  in Wetzlar. Auch hier machte ich ganz neue Erfahrungen. Ich traf auf einmal auf ganz andere Menschen, die in Wetzlar Busse fahren, was viele meiner Freunde, wie sie glaubhaft versicherten, noch nie gemacht haben. Doch ich war beruhigt, die Busse waren immer pünktlich, ich hatte immer, nein fast immer, einen Sitzplatz und die Bushaltestellen sind von meiner Wohnung gut und schnell erreichbar.

Etwa drei Monaten nach meiner Rückkehr aus Laos entdeckte ich einen neuen Carsharinganbieter in Wetzlar, App2drive. Ich wurde Mitglied, ich glaube ich war das erste Mitglied und seit dem nutze ich stundenweise, wenn es sein muss auch tageweise die netten kleinen Fiat 500, im Sommer sogar mit offenen Verdeck,  oder wenn es mal weiter sein muss, einen etwas größeren Peugeot, sozusagend die Klasse M. Den Weg zum Standplatz, direkt hinter dem Bahnhof in Wetzlar, nutze ich für meine tägliche Bewegung und bin dann immer wieder stolz auf mich. Wenn ich es mal eilig habe oder abends nicht den Weg über den Bahnhof laufen will, fahre ich mit dem Fahrrad zum Standplatz oder bin auch spät schon mal mit dem Taxi nach Hause gefahren.

Mein Weg zum App2driveplatz führt mich über den Parkandride-Parkplatz direkt an der Bahn. Jedes mal,wenn ich darüber gehe, denke ich, da müsste doch jemand dabei sein, der bereit ist sein Auto zu teilen. Es stehen dort täglich die gleichen Autos, ob klein oder groß und warten geduldig, ich denke mindestens acht Stunden, auf ihre Besitzer, die nach getaner Arbeit kommen, um damit nach Hause zu fahren. Ich habe immer überlegt, da mal einen Zettel an die Windschutzscheibe zu heften und mein Anliegen, Auto teilen, darzustellen. Bisher habe ich es nicht verwirklicht. Es wäre auch eine moderne Art des Carsharing. Allerdings dazu braucht es wohl einer neuen Autokultur, einer anderen Denke, wer ich so im Laufe meines Jahres festgestellt habe. Nach wie vor ist das Auto und die damit verbundene Autonomie und Unabhängigkeit ein hohes Gut vieler Deutscher. „Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge, legen die Bundesbürger aktuell 80% ihrer Wege im Auto zurück.“ (Zeit, 17.09.2015 S.30 Blechkleid der Seele H. Sussebach). Jetzt muss man den Nutzern des P+R Platzes zugute halten, dass sie ja den weiteren Weg zur Arbeit mit der Bahn machen.

Hier noch einmal ein ganz andere Blick auf das Auto: „Derzeit sind 44 Millionen Autos in Deutschland zugelassen, mehr als je zuvor. Geht man davon aus, dass jeder dieser Wagen Platz für vier Personen bietet, kommen auf 82 Millionen Einwohner 176 Millionen Sitze. …… Das Auto steht pro Tag durchschnittlich 23 Stunden nutzlos herum – und wird nur 35 Kilometer bewegt. ….In Deutschland wurde das Auto erfunden, hier ist es bis heute ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor.“ (Zeit, 17.09.2015 S.30 Blechkleid der Seele H. Sussebach).

Im Laufe meines autofreien Jahres habe ich auch noch über weitere Sharingmodelle nachgedacht. Mir wurde irgendwann klar, dass ich nach dem Jahr wieder ein Auto besitzen wollte.  Ja, ich gebe zu,  um meine Unabhängigkeit wieder komfortabel leben zu können. Als mir Freunde berichteten, dass sie ein neues Auto kaufen wollten, weil das alte wirklich alt war, sinnierten wir über das Modell, groß und klein, Benzin und Elektro nach. Wie wäre es, wenn Menschen, die auf ein Auto nicht verzichten wollen oder können, gemeinsam ein kleines Stadtauto und ein größeres Überlandauto betreiben würden? Dieses Modell wird ja in vielen Familien praktiziert. Mann oder Frau fährt mit dem Familienauto zur Arbeit, Frau, weniger der Mann (!) hat ein kleineres Auto, mit dem sie in der Stadt unterwegs ist und die Kinder zu Kindergarten oder Schule und Terminen fährt.  Oder der Mann nimmt das kleinere Auto, weil es ja an der Arbeit viele Stunden rumsteht. Kommt seltener vor, ist aber auch schon gut gedacht. Aber für Singles und Familien, z.B. Renterehepaare, die nur über ein Auto verfügen wäre das Sharing, groß und klein, eigentlich ideal. Ja sicher, es bedarf der Absprache und ein bisschen Organisation, aber ohne, dass das die Unabhängigkeit einschränkt. Nur das richtige Ab- bzw. Berechungsmodell muss noch gefunden werden. Aber ich bin sicher, da gibt es eine Lösung, z.B. die gemeinsame „Autonutzungs Gbr“.

In meinem autofreien Jahr, besonders am Anfang haben mich zeitweise interessante Gefühle überfallen. So manches mal schaute ich neidisch auf all die schönen Autos, die an mir durch die Stadt vorbeifuhren. Alle haben ein Auto, nur ich nicht, klickerte es dabei in meinen Gedanken.  Was ist ein Auto doch so bequem und ……….. . Da merkte ich, dass Autobesitz Status bedeutet und dass mir Status schon auch etwas wert ist. Ich merkte, wie ich mich oft  rechtfertigte, warum ich kein Auto besitze und wie das Selbstbewußtsein zum Autoverzicht bei mir noch eher unterentwickelt ist gegenüber dem langjährig trainierten, gewohnten gesellschaftlichem Standard: Autobesitz. Ich rettete mich dann immer mit innerem Lächeln und der Erinnerung, dass ich die Entscheidung ein Jahr autofrei ganz freiwillig für mich getroffen habe und auch dieses Gefühlskarusell eine gute Erfahrung ist.

Im Oktober dieses meines autofreien Jahres hatte ich verschärfte Bedingungen, denn, obwohl ich kein eigenes Auto besaß hat es mich  im Mai dieses Jahres erwischt. Ich fuhr aus einer Ausfahrt heraus, trat aufs Gas meines geliehenen Autos, um den nachfolgenden Verkehr nicht zu behindern und passierte bei gelb, so dachte ich, die Ampel vor mir. Und Blitz – knall peng  – blitze die Kamera an der Ampel auf. Drei Wochen später kam das Bild und das Schreiben, ich sei bei Rot über die Ampel gefahren. Das Bild war unverkennbar ich. Der Spaß kostete mich 200 € und vier Wochen Führerscheinentzug, den ich dann im Oktober, wo ich eigentlich im Urlaub sein wollte, was ich aber aus verschiedenen Gründen abgesagt hatte, nahm. Still und heimlich, keiner hat es bemerkt, war ich vier Wochen nicht nur ohne eigenes Auto, sondern gänzlich ohne auch nur den Gedanken an ein Auto. Dabei stellte ich wieder fest, ich komme fast überall hin, zumindest hier im Umkreis und zu meinen BVMW Kunden. Zu der Kurklinik  meiner Schwester, im schönen aber abgelegenen Odenwald, nahm mich zum Glück meine andere Schwestern von Darmstadt aus mit dem Auto mit, sonst hätte ich eben schon am Tag vorher anreisen müssen.

Schon während meines autofreien Jahres hatte ich mir viele Gedanken gemacht, welches Auto ich denn dann fahren wollte, wenn das Jahr um war. Es sollte schadstoffarm und kostengünstig sein, der CO2 Wert sollte möglichst dicht, wenn nicht gar unter 100 g liegen. Ich hatte sogar einen Diesel ins Auge gefasst, bis der VW Skandal die Gazetten füllte und mir wieder klar wurde, dass die Wahrheit beim Auto wo ganz anders liegt. Das ich mich an autofrei recht gut gewöhnt hatte wurde mir klar, als ich die Bestellung und Entscheidung für das neue Auto, ohne große Not immer weiter hinauszögerte. Ja am liebsten wäre mir ein Sharing direkt hier im Haus und in der Tiefgarage. Ein Sharing, dass mit kurzen Wegen und wenig Aufwand auch mir Unabhängigkeit, Komfort und flexible Beweglichkeit ermöglicht. Jetzt ist das hier leider noch nicht zu haben, aber in eins, zwei oder drei Jahren vielleicht doch. Ich werde darauf hinarbeiten.  Meine Erfahrung: ein Jahr autofrei hat mir was gebracht und ich will mir das gute Gefühl bewahren. Es wird eine neue Herausforderung.

Nächste Woche ist es soweit, mein neuer Peugeot 2008 steht vor der Türe.

 

 

 

 

 

 

 

 

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